Anti-asiatischer Rassismus

Anti-asiatischer Rassismus in Zeiten der Covid19 Pandemie

Rassismus: Made in … ?

Der Coronavirus SARS-CoV-2 bricht aus. Nachrichten erreichen uns in Deutschland über den neuartigen Virus. Die Gefahr scheint noch weit entfernt und die nationale Berichterstattung hält sich zunächst noch in Grenzen, doch eines scheint von Anfang an klar zu sein: Die Gefahr kommt aus China/Asien. Groß plakativ erscheint eine Spiegel-Ausgabe am 01.02.2020 auf dem mit gelben Buchstaben geschrieben steht „Made in China“. Noch bevor wir uns bewusst sind, was der Virus für uns und unseren Alltag sowie unsere Realitätswelt zu bedeuten hat, wird bereits eine Narration vorgelegt. Berichte über den tödlichen Virus werden mit Bildmaterial auf denen asiatisch-gelesene Menschen zu sehen sind, verbreitet. Ein Feindbild wird geschaffen.
Betroffene hören von nun an neben dem bereits bestehenden Alltagsrassismus, Beschimpfungen bezüglich der angehenden Pandemie. Nun heißt es nicht länger „Schlitzauge“, sondern „Corona“.

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Auch mein persönlicher Alltag wird davon betroffen. Als Viet-Deutsche ist mir mein asiatischer Hintergrund klar anzusehen und ich spüre die Veränderung in der Wahrnehmung der Menschen. Alltagsrassismus ist mir kein neuer Begriff. Als junger Mensch, welcher direkt auf der Partymeile Hamburgs wohnt, begegnet mir der ein oder andere Fall von Diskriminierung und Rassismus mehrmals im Monat. Sei es das hinterhergerufene „Konnichiwa“ oder sexistische Bemerkungen über den „Exotismus“ von asiatischen Frauen. Mit der Pandemie bekommt dieser Alltagsrassismus einen neuen Anstrich.
Ich höre von Familie und Freunden Berichte über die Ausgrenzung in der Öffentlichkeit. Mein kleiner Bruder steht an der Bahnstation und wartet auf seine Bahn, um zur Universität zu fahren. Hinter ihm zwei junge Frauen, die zueinander tuscheln und mehrmals das Wort „Corona“ erwähnen. Wenn er sich umdreht, laufen die Beiden peinlich berührt weg.
Im Internet häufen sich die Erfahrungsberichte, wie die Ausschreitungen in Deutschland ausarten. Asiatisch-gelesene Menschen werden mit Desinfektionsspray eingesprüht, gemieden und beschimpft. Als Betroffene bin ich für das Thema sensibilisiert und verfolge immer mehr wie die Covid19-Pandemie das öffentliche Diskriminieren von asiatisch-gelesenen Menschen anscheinend begünstigt.
Initiatoren und diverse Kollektive versuchen auf den anti-asiatischen Rassismus aufmerksam zu machen, treffen dabei aber zu oft auf Gegenwind. In der Öffentlichkeit stehen wollen, aber dies verweigert zu werden ist eine Hürde, mit der sich anti-asiatischer Rassismus-Engagierte nun mehr denn je befassen müssen.

“Vorurteile spielen im privaten Alltag wie im öffentlichen Leben die Rolle von Katalysatoren für individuelle und kollektive Ängste, Frustrationen und Aggressionen. Vorurteile verdichten sich zu Feindbildern. [-]“

Wolfgang Benz: Alltagsrassismus: Feindschaft gegen “Fremde” und “Andere”, 2019


Ein Blick in die Vergangenheit. Historischer Blick auf Diskriminierung und Ausgrenzung von Asiat*innen.

Diskriminierung von asiatisch-gelesenen Menschen im europäischen Raum ist keine Erfindung der Neuzeit. Narrationen und Zuschreibungen des “asiatischen Volkes” werden in Europa schon seit dem 13. Jahrhundert verbreitet und sind teilweise noch bis heute wirkmächtig und prägen das Bild des “Fremden”, “Gefährlichen” sowie “Exotischen” Asiaten. 1 Eine Aufzeichnung von einem Besuch in Quanzhou, China durch den Österreicher Christoph Carl Fernberger beschreibt die Stadt als “schlimmsten Ort Chinas”. Er bezeichnet in seinen Aufzeichnungen die Bewohner als “ein wenig gelblich” und kritisiert die Bewohner für ihre angebliche Päderastie und dafür, dass die ältere Bevölkerung für ihren Unterhalt “niedrige Arbeiten” leisten mussten. Während seines Besuch in Hirado, Japan bezeichnet er im Vergleich die japanische Bevölkerung als “ziemlich weiß” und im Gegensatz zu den Chinesen seien die Japaner eine “mannhafte Nation” und ihre Frauen seien “anmutig”. Hierbei muss bedacht werden, dass zu der Zeit viele Japaner in Hirado dem christlichen Glauben folgten.2 Bereits hier wird eine Unterscheidung zwischen “weiß” und “nicht-weiß” bzw “gelb/gelblich” gemacht. Weiß wird mit Mannhaftigkeit und Zivilisiertheit in Verbindung gesetzt während die gelbliche Farbe als abwertende Zuschreibung genutzt wird. Es dauert jedoch nicht lang, da verliert auch Japan den Status “weiß” und gesellt sich zu dem Gelb seines Nachbarns China. 

Das weiß der Haut wird als Symbol des westlichen Intellekts betrachtet sowie der kulturellen und religiösen Überlegenheit.3 Japaner:innen als “ziemlich weiß” zu bezeichnen deutet darauf hin, dass der Westen diese als zivilisiert betrachtet, jedoch nicht als komplett weiß und damit immer noch dem Westen unterlegen, während Chines:innen dem “weiß” der Europäer komplett abgesprochen wird. Ein Bericht aus Mitte des 17. Jahrhundert beschreibt in den Aufzeichnungen von zwei niederländischen Händler-missionen, dass obwohl Japaner:innen im Vergleich zu anderen “Ost-Indianern” zwar weiß wären, aber dieses weiß sich von dem Weiß der Europäer unterscheide. Japaner:innen seien “gelblich-weiß” und ihnen fehle jegliche Form von lebendiger Farbe. Ähnlich sprach Francis Bacon davon, dass Chines:innen einen “kränkliche Gesichtsfarbe” hätten.4 Der Bezug zu der “ungesunden” Gesichtsfarbe, welcher es an “Lebendigkeit” und “Farbe” fehlte wird auch in Zukunft noch oft gemacht. Asiat:innen werden zunehmend mit “Krankheit” in Verbindung gesetzt und als Gefahr sowie als “ungesund” betrachtet. Ein deutscher Jesuitenmissionar schreibt um 1741, dass obwohl Chines:innen “zwar weiß wirken” dieses weiß-sein jedoch mehr einer “Todten-Bleiche” näher käme. 5 Diese Assoziation mit Krankheit und Tod wird durch Carl Linnaeus, ein schwedischer Naturforscher dessen Expertise in der Betrachtung von Farben von Krankheiten lag, bestärkt. Er bezeichnet die Hautfarbe von Asiat:inenn als “fahl” und erläutert weiter, dass es sich statt einer goldähnlichen Farbe um ein eher kränkliches gelb handelt. Dies bestärkte die neue Welle der Sinophobie im 18. Jahrhundert. Chines:innen wurden nicht länger als weiß oder “ziemlich weiß” betrachtet und damit auch ihrer Fähigkeit aberkannt, moralische Überlegenheit, Zivilisiertheit und die Möglichkeit zum Christentum konvertiert zu werden, zu besitzen. 

“At the end of the 18th century Johann Friedrich Blumenbach would place East Asian skin halfway between the color of cooked oranges and grains of wheat. But it is noteworthy that East Asians were just as frequently compared to dried-up or life-less things, in Blumenbach as well, who mentioned desiccated lemon peels.”6

Mit dem 19. Jahrhundert entwickelte sich verstärkt eine Zuschreibung von Gewalt und Gefahr ausgehend von asiatisch-gelesenen Menschen. Mongol:innen werden als Gefahr für Europa betrachtet und S. Wells William spricht in seinem “standard study of China” von riesigen Schwärmen von Mongol:innen, welche Indien, China, Syrien, Ägypten und Ost-Europa überrennen. 7 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Angst vor Asiat:innen in den Köpfen der westlichen Bevölkerung fest verankert. In den 1870er kommt der Begriff des “yellow terrors”, also dem “gelben Schrecken” auf und China wird nun aktiv als Feindbild angesehen. Währenddessen werden weiterhin europäische Kolonien im asiatischen Raum errichtet. In Deutschland wird so die Kolonie in Kiautschou 1897 im Namen einer “höheren Gesinnung” legitimiert und mit dem zeitgenössischen Gedanken einer angeblichen Überlegenheit der Deutschen gegenüber Chines:innen verstärkt. 8

Die Abgrenzung von Asiat:innen im Bereich der Naturforschung hält auch im 20. Jahrhundert noch an. Eugen Kurz beispielsweise publizierte 1913 ein Papier in dem er durchgehend das “chinesische Gehirn” von dem “europäischen Gehirn” unterscheidet und es als fundamental unterschiedlich bezeichnet. Das Gehirn der Chines:innen sei deutlich kleiner als das des Europäers und auch der Körper von Chines:innen sei im Gegensatz zu Europäer:innen primitiv. Letztlich schließt er heraus, dass der chinesische Mensch einer komplett anderen Abstammung hervorkam als der europäische. Asiat:innen sollen nach Eugen Kurz eher von dem Orang-Utan abstammen. 9 Während diese Ansicht nicht von allen Akademikern aufgenommen wurde, zeigt sich hier jedoch deutlich wie Asiat:innen betrachtet worden sind. Ihnen wird nicht nur die Zivilisiertheit abgesprochen sondern auch die Menschlichkeit. Es wird klar eine Grenze konzeptualisiert in der asiatisch-gelesene Menschen deutlich “nicht-weiß” und vor allem “nicht westlich” und damit unterlegen sind. Die Kategorisierung durch den Westen in “weiß” und “nicht-weiß” wird deutlich instrumentalisiert um Diskrimination und Ausgrenzung zu legitimieren. Hinsichtlich jüngster historischer Ereignisse bezüglich anti-asiatischer Gewalt lassen sich die Pogrome in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992 aufzeichnen. Wohngebäude in denen in erster Linie Vietnames:innen lebten wurden vor einem applaudierenden Publikum angezündet. Die Betroffenen wurden evakuiert, die Verhaftung der Täter:innen verlief allerdings schleppend. 10 Diese gewaltsamen Ausschreitungen in jüngster Geschichte sowie der steigende anti-asiatischen Rassismus in Bezug mit der Covid19 Pandemie sind ein Exemplar für die immer noch bestehende Existenz von Rassismus und Diskriminierung in Deutschland.  


Öffentlich meiden, öffentlich schneiden.

Unser soziales Leben und Miteinander ist geprägt von Etikette und unausgesprochenen Verhaltensregeln. Der Austausch zwischen Individuen ist kulturell geprägt und vermag es der kleinsten Mimik und Gestik Bedeutung beizulegen. Diese Konstrukte der Verhaltensregeln werden zum Teil immer neu ausgehandelt und rekonstruiert. Es ist beispielsweise allgemein bekannt, dass in der Öffentlichkeit die Hose nicht geöffnet zu sein hat. Auch betritt man ein Restaurant nicht unbekleidet. Diese Regeln sind je nach Ort jedoch unterschiedlich zu betrachten. Während es in einem Schwimmbad durchaus vorkommt, dass die Besucher auch in ihren Badesachen sich zum Essen begeben ist dies in einem Einkaufszentrum zum Beispiel undenkbar. Ein weiteres Beispiel ist das Ansprechen von Fremden ohne triftigen Grund, wenn  man etwas nach dem Weg fragt, eher verpönt. Doch was passiert, wenn gesellschaftliche Tabus der öffentlichen Etikette gezielt mit xenophobischen Beweggründen gebrochen werden?  

Gerade im Bezug des Ansprechens auf der Straße gibt es bedeutsame Brüche der Kommunikationsregeln. Nach Goffmann gibt es eine gewisse Furcht davor für frech, aufdringlich oder unangenehm gehalten zu werden. Weiterhin soll auch eine Furcht, dass wir jemandem eine Beziehung aufdrängen, welche gar keine will. Diese Ängste werden dann mit der Furcht offen zurückgewiesen oder gar geschnitten zu werden bestärkt. Diese Ängste sind es, welche die Mittelstandsgesellschaft in Leute an ihrem Kommunikationsort festhält. 11 Doch in Bezug auf anti-asiatischen Übergriffen wird dieses Tabu oftmals ohne weiteres gebrochen. Betroffene werden von Täter:innen auf offener Straße angesprochen, beleidigt und angegangen. Es scheint als würde die Angst vor Zurückweisung in dieser Situation nicht zutreffen. Täter:innen brechen gezielt Kommunikationsregeln und die Betroffenen finden sich nun in einer ungewollten Situation. Die Betroffenen werden in eine Beziehung genötigt, welche nicht gewünscht ist und muss sich nun in dieser Situation zurecht finden. Einer Interaktion auszuweichen ist für Betroffene schwierig, sobald diese erst einmal initialisiert wurde. Belästigte Personen versuchen in der Regel denen auszuweichen, die sie stören. Doch dieses Ausweichen wird von dem Belästigendem oft nicht aufgegriffen oder gar gezielt verhindert. Goffmann schreibt, dass auf den Versuch der Betroffenen so zu tun als wäre die Initiative nicht bemerkt worden sein, es zu einer Gegenreaktion kommen kann. 12 Das meiden einer Interaktion durch die angesprochene Person lässt sich mit Furcht vor Auseinandersetzung, Gewalt und öffentliche Schneidung sowie Scham begründen. Es ist also keineswegs gegeben, dass die Interaktion damit endet, dass eines der Akteure sich versucht aus der Interaktion heraus zu nehmen. Es kann im Gegenteil sogar zu verstärkter Reaktion des Initiators kommen. Betroffene von anti-asiatischen Rassismus finden sich oft in Situationen in denen sie nicht wissen wie sie zu handeln haben, da die allgemeinen Kommunikationsregeln plötzlich nicht länger gelten. Auch das Eingreifen dritter Parteien ist nicht mit Sicherheit gegeben.
Das Tabu der gesellschaftlich und im öffentlichen Leben gemieden und geschnitten zu werden ist nach Goffmann keine Frage der offiziellen Etikette. Er beschreibt, dass selbst in dem Fall das zwei Menschen sich schneiden, sie wahrscheinlich sich trotzdem grüßen oder einige höfliche Worte miteinander wechseln, sollten sie sich gegen ihren Willen treffen. 13 Aber auch diese Höflichkeiten werden in dem Fall von anti-asiatischen Rassismus nicht länger befolgt. Betroffenen berichten davon aktiv gemieden zu werden. Dieses Meiden und absichtlich nicht beachten oder ansehen hat laut Goffmann einen besonderen und befangenen Zug. Es lässt sich hier also durchaus argumentieren, dass das öffentliche Meiden von asiatisch-gelesenen Menschen durchaus als Anfeindung oder zumindest als Schneidung gelesen werden kann, welche einen unnatürlichen Hintergrund hat und nicht mit den allgemeinen Kommunikations-Etikette übereinstimmt. Besonders in Bezug auf Covid19 kann ich als Betroffene von einer aktiven Meidung sprechen. Vermehrt beobachte ich dabei wie meine Verwandten, asiatisch-gelesenen Freunde und auch ich selbst in öffentlichen Situationen, wie zum Beispiel in der Bahn, gemieden werden.

Was die Interaktion zudem erschwert ist, dass das Lesen von Mimik durch das Tragen einer Maske erheblich gehindert wird. Das Gesicht wird als Instrument der menschlichen Kommunikation genutzt. Es ist Teil der persönlichen Erscheinung und gestattet dem Einzelnen zu bekunden, er ist situationell präsent. 14 Die Akteure sind nun darauf angewiesen mit so wenig wie möglich die Emotionen des Gegenübers zu deuten. Vieles geschieht dabei durch Annahmen. Wir befinden uns nun in einer uns unbekannten Situation und müssen neue Kommunikationsregeln aushandeln. Betroffene von Diskriminierung können so nicht länger anhand der Gesichtsmimik erkennen ob der Gegenüber einem freundlich gesinnt ist. Die Furcht vor Schneidung, welche zuvor schon vorhanden war, wird nun verschärft durch mediale Narrationen, welche asiatisch-gelesene Menschen als Verursacher der Pandemie darstellen. Diese Furcht lebt sich in dem Verhalten in der Öffentlichkeit aus. Es geschieht, dass eine allgemeine Schneidung in der Öffentlichkeit eintritt. Sowohl durch Betroffene als auch durch Fremde. Ein Tabu das zuvor mit Unwohlsein und Furcht in Verbindung gesetzt wurde scheint nun die neue Normalität zu sein. Die zuvor vorhandene Möglichkeit durch die persönliche Erscheinung jedes Einzelnen seiner Umwelt seine Aufgeschlossenheit zu bekunden ist nun nicht mehr vorhanden. 15

Mit dem Wandel der öffentlichen Distanz und der aktiven Meidung verschiebt sich der Aushandlungsort der Öffentlichkeit umso mehr in die digitale Welt. Das Miteinande im Netz ist ein Medium für die Fortsetzung des bestehenden Interaktionsverhältnis und darüber hinaus. Neue Bekanntschaften werden gemacht und Menschen tauschen sich in digitalen Öffentlichkeiten aus. 16. Diese digitale Öffentlichkeit kann von jede:m Interessierte:n sofort und zugleich betreten beziehungsweise gelesen werden. 

“Im Social Web wird die Kommunikation mit Freunden unweigerlich zur Interaktion mit Fremden.” 17

Im Internet wirken deutlich andere Kommunikationsgesetze als in zuvor gewohnt. Auch hier findet wieder eine Aushandlung statt. Neben dem Verlust der Gesichtsmimik fällt hier im Falle des Chattens auf Online Plattformen sogar die Gestik des Körpers weg. Hinzu kommt der Schutz der Anonymität. Die vorher bei Goffmann beschriebene Furcht geschnitten oder von der Umgebung als unangenehm betrachtet zu werden, verliert immer mehr an Macht. Die Handlung ist nun nicht immer direkt auf den Akteur zurückzuführen. Die digitale Öffentlichkeit ist dabei aber nicht von der allgemeinen kulturellen Öffentlichkeit getrennt zu betrachten. Was im Netz geschieht ist nicht immer nur für das Netz wichtig und ebenso andersherum. Die Auswirkungen im Internet reichen weit über das Netz hinaus.18 Es kann zu einer übergreifenden Öffentlichkeit kommen. Ein Beispiel, welches gezielt den anti-asiatischen Rassismus betrachtet, ist dabei die Kritik an Matthias Matuschik, Radiosprecher bei Bayern3. Matthias “Matuschke” Matuschik hatte in seiner Radioshow im Februar 2021 über den Auftrifft der koreanischen Musikergruppe BTS berichtet und dabei unter anderem die Band mit einem Virus gleich setzte. Zudem hatte er kommentiert, dass die Band aufgrund ihres musikalischen Covers des Songs “Fix You” von Coldplay “Gotteslästerung” betrieben. Mit seiner Aussage: “Dafür werdet ihr in Nordkorea Urlaub machen für die nächsten 20 Jahre.“ zieht er dabei den direkten Bezug zu der Herkunft der südkoreanischen Band. Asiatisch-Deutsche, betroffene von anti-asiatischem Rassismus sowie Fans der Band kritisierten den Radioauftritt von Matuschik stark und deklarierten ihre Kritik auf Social Media wie Twitter und Instagram. In kürzester Zeit ging der Hashtag #bayern3racist weltweit viral. Die Kritik überschritt die Grenzen des Social Media und Nachrichtenplattformen berichteten über den Vorfall sowohl digital als auch in gedruckter Form. Von der Süddeutschen Zeitung über koreanische und amerikanische Nachrichtensender berichteten über den Vorfall. 19 Hier konnte das Übergreifen von einer Öffentlichkeit in die andere Öffentlichkeit klar beobachtet werden. 

Medien zeugen jedoch nicht nur Öffentlichkeiten, sondern können diese auch spalten. Auch im Fall Matuschik lässt sich erkennen, wie sich die Gruppen in Kritiker, Befürworter, Skeptiker und auch in Apologeten, Ignoranten oder Enthusiasten spalten. Während die Kritik an dem Radiosender Bayern3 stark reproduziert wurde, gab es auch immer wieder Verteidiger des Senders. So zum Beispiel reagierte der Sender bisher nach wie vor nicht auf die Petition, welche nach der Sendung ins Leben gerufen wurde und verteidigte ihren Radiosprecher und beteuerte, dass dieser in keinster Weise rassistischer Natur sei. Diese Reaktion wurde von Verteidigern und Befürwortern gelobt und verbreitet. 

Die Tagesschau berichtet über die Zahlen der Covid19-Neuinfektionen in Deutschland und bebildert dabei ihren Artikel mit einem Bild einer asiatisch-gelesenen Person. Es ist zu beobachten, dass die deutschen Medien ihre Berichte zu dem Verlauf des Virus verfolgen und dabei auf Bildmaterial zugreifen auf denen asiatisch-gelesenen Menschen zu sehen sind, auch wenn es in dem Bericht nicht um Asien oder Asiat:innnen geht. Durch diese Art der Visualisierung wird dem Betrachter und Leser suggeriert, dass es zwischen dem Virus und asiatisch-gelesenen Menschen einen Zusammenhang gibt.

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Wenn Rassismus Alltag wird: Erfahrungsberichte von Betroffenen

Anfeindung und Ausgrenzung im Alltag sind für einige Menschen gelebte Realität. Rassismus gegenüber asiatisch gelesenen Menschen wird oft übersehen, totgeschwiegen oder als “Witz” abgestempelt. So auch der Vorfall im Januar 2021 um Martin Sonneborn, Parteichef der politischen Partei “Die Partei”, welcher auf Twitter ein Bild von einem T-Shirt veröffentlichte auf dem Ein Schriftzug zu lesen war welcher suggeriert, dass Asiat:innen der deutschen Sprache nicht mächtig seien, beziehungsweise einen vermeintlichen Akzent darstellen sollte. Als mehrfach Betroffene auf das reproduzieren von Stereotypen durch diesen Tweet aufmerksam machten, wurde es sowohl von Sonneborn als auch von einigen Verteidigern dessen als “Witz” und “Satire” betitelt. Erst durch vermehrte Kritik und schließlich dem Ausstieg aus der Partei durch ehemaliges Parteimitglied Nico Semsrott, verfasst Sonneborn eine Stellungnahme und eine Entschuldigung, welche jedoch nur teilweise von Betroffenen anerkannt wurde. Sonneborn verweist oftmals auf die Intention des Witzes und dass dieser keinen rassistischen Hintergrund hatte, geht jedoch nur bedingt auf die Sicht der Betroffenen ein, welche die Reproduktion von solchen Stereotypen, ob gewollt oder nicht, durchaus als rassistisch betrachten und so auch empfunden haben.

„Das hat eigentlich mein ganzes Leben lang mich verfolgt, irgendwie. Seit ich denken kann gibt es Kommentare von Außenstehenden, die diskriminierend waren.“

C.Z., 25 Jahre, Chinesisch-Deutsche aus Nordrhein-Westfalen, 2020

Bei einer Reihe von Interviews von asiatisch-gelesenen Menschen, welche in Deutschland aufgewachsen sind und weiterhin hier leben, erfahre ich von verschiedenen Eindrücken in Bezug auf Diskriminierung aufgrund der (vermeintlichen) Herkunft, doch eines ist in allen Fällen übereinstimmend. Alle Interviewpartner:innen haben Diskriminierung erlebt und dies schon seit dem Kindheitsalter. “Das hat schon ganz früh angefangen, eigentlich schon in meiner Kindheit” sagt E. (Deutsch-Taiwanese), welcher nach kurzer Überlegung die ersten Erfahrungen mit Diskriminierung auf die Zeit im Kindergarten datiert. Auch C.Z, welche in Deutschland geboren wurde und deren Eltern beide Chinesen sind, erinnert sich bereits im Kindergarten aufgrund ihres Aussehens gehänselt worden zu sein. Sie erinnert sich, dass bereits im jungen Alter ihre Mitschüler diskriminierende Sprüche reproduziert haben und immer wieder ihr asiatische-gelesenes Aussehen negativ kommentiert haben. Ausgrenzung und Diskriminierung erlebte C.Z jedoch nicht nur von Fremden, sondern auch im eigenen Bekanntenkreis.

“Leider Gottes habe ich diese Erfahrungen auch in Bekanntenkreisen gemacht, dass vielleicht nicht in der Absicht gemacht war rassistisch zu sein, aber dennoch Aussagen gemacht worden sind, welche einfach beleidigend sind.”

Diese Situationen erlebte sie sowohl in privaten Kreisen als auch in der Öffentlichkeit sowie in Semi-Öffentlichkeiten. Begegnungen mit Rassismus und Diskriminierung formten die Befragten von Kind auf. C.Z erläutert, dass sie aufgrund dieser Erfahrungen eine Zeit lang versuchte “so deutsch wie möglich zu sein” und sowohl Zuhause als auch in der Öffentlichkeit sich weigerte chinesisch zu sprechen. Inzwischen hat sie diese Haltung abgelegt und versucht stattdessen sich selbst und ihre Identität zu finden. Dabei erwähnt sie in unserem Interview allerdings, dass dies noch immer ein schwieriges Unterfangen ist. Sie erzählt, dass sie ab und zu dazu sich ertappt wie sie in der Öffentlichkeit versucht besonders korrektes und verständliches Deutsch zu sprechen, obwohl es ihre Muttersprache ist. Auch L.W, welche in Berlin lebt und einen chinesischen Hintergrund hat, erzählt, dass sie Bedenken hat, wenn sie mit Nachbarn oder Bekannten spricht, dass diese im Nachhinein eventuell schlecht über sie denken aufgrund ihrer chinesischen Herkunft. Besonders in Bezug auf die Covid19 Pandemie haben sich diese Ängste verstärkt. Sie erläutert in unserem Interview wie es ihr und ihren Eltern in den Wochen nach dem Ausbruch des Virus in Deutschland erging.

“Ich habe jetzt aber diese Sorgen, dass wenn wir zum Beispiel mit unseren Nachbarn gesprochen haben, dass die jetzt schlecht über uns denken oder anfangen schlecht über uns zu denken, weil dann Vorurteile über die letzten Wochen wo sich das Virus ausgebreitet hat, entwickelt haben. Und das war uns irgendwie auch voll peinlich.“

Angst vor der Ausgrenzung und Ausschließung aus dem eigenen Kreis ist durch vorherige Erfahrungen geschürt und nun in der Pandemie verstärkt worden. Alle Interviewpartner: innen sprechen auch davon, dass sie gewisse Orte in der Öffentlichkeit meiden, weil sie dort bereits in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit rassistischen Auseinandersetzungen hatten. So nehmen die Erfahrungen Form in ihrem Alltag und bestimmen das Verhalten der Betroffenen sowohl in ihrem privaten Leben als auch in der Öffentlichkeit. Fremde als auch Bekannte werden mit einer gewissen Erwartungshaltung begegnet. Beispielsweise bereitet sich C.Z innerlich auf Konfrontationen vor, wenn sie an einer Gruppe von Kindern vorbei kommt, da sie aus mehrfacher Erfahrung damit rechnet, dass ihr diskriminierende sowie rassistische Sprüche entgegen gerufen werden. Bei Männern kommt die Angst vor sexualisierenden und frauenfeindlichen Aussagen hinzu. Mit Zivilcourage und Unterstützung von Außenstehenden rechnet sie nicht, denn dies sei bisher noch nie passiert. Sie musste sich immer selbst verteidigen. Auch E. erzählt, dass er in erster Linie immer für sich selbst einstehen musste in solch Situationen. 

#IchbinkeinVirus

Das ehrenamtliche Projekt „Ich bin kein Virus“ und die damit verbundene Seite https://www.ichbinkeinvirus.org/ machen seit dem 29.05.2020 auf die individuellen Stimmen Betroffener aufmerksam und sammeln Erfahrungsberichte dieser.

„Mit dem Anstieg des Rassismus gegen asiatisch gelesene Menschen auf globaler Ebene durch Covid19 haben wir uns bestärkt ein Netzwerk vor allem für Betroffene zu kreieren.“

https://www.ichbinkeinvirus.org/uber-uns/

Ein Netzwerk welches individuelle Stimmen von Betroffenen hier sammelt und dokumentiert und ihnen so eine Plattform bietet.

Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven mit gesellschaftskritischen Blick auf KulturMedien und Politik.

Ein Projekt um mentale Erkrankung in asiatischen Communities weltweit zu de-stigmatisieren.

  1. Michael Keevak: Becoming Yellow. A short history of racial thinking. Princeton Univ. Press, Princeton, NJ, 2011
  2. Michael Keevak: Becoming Yellow. A short history of racial thinking. Princeton Univ. Press, Princeton, NJ, 2011. S.37
  3. Michael Keevak: Becoming Yellow. A short history of racial thinking. Princeton Univ. Press, Princeton, NJ, 2011. S.39
  4. Michael Keevak: Becoming Yellow. A short history of racial thinking. Princeton Univ. Press, Princeton, NJ, 2011
  5. Michael Keevak: Becoming Yellow. A short history of racial thinking. Princeton Univ. Press, Princeton, NJ, 2011. S.36
  6. Michael Keevak: Becoming Yellow. A short history of racial thinking. Princeton Univ. Press, Princeton, NJ, 2011. S.35
  7. Michael Keevak: Becoming Yellow. A short history of racial thinking. Princeton Univ. Press, Princeton, NJ, 2011. S .125
  8. Zit. nach Mechthild Leutner/Harald Bräuner, „Im Namen einer höheren Gesittung“. Die Kolonialperiode, 1897–1914, in: Mechthild Leutner/Dagmar Yü-Dembski (Hrsg.), Exotik und Wirklichkeit. China in Reisebeschreibungen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1990, S. 41–52.
  9. Michael Keevak: Becoming Yellow. A short history of racial thinking. Princeton Univ. Press, Princeton, NJ, 2011. S .117
  10. Michael Keevak: Becoming Yellow. A short history of racial thinking. Princeton Univ. Press, Princeton, NJ, 2011. S .125
  11. Erving Goffmann: Verhalten in sozialen Situationen. Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 1971. S.76
  12. Erving Goffmann: Verhalten in sozialen Situationen. Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 1971. S.76
  13. Erving Goffmann: Verhalten in sozialen Situationen. Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 1971. S.64
  14. Erving Goffmann: Verhalten in sozialen Situationen. Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 1971.
  15. Erving Goffmann: Verhalten in sozialen Situationen. Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum. Bertelsmann Verlag, Gütersloh. 1971. S.22
  16. Stefan Münker, Emergenz digitaler Öffentlichkeoten; Die Sozialen Medien im Web 2.0., Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2009. S.82
  17. Stefan Münker, Emergenz digitaler Öffentlichkeoten; Die Sozialen Medien im Web 2.0., Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2009. S.84
  18. Stefan Münker, Emergenz digitaler Öffentlichkeoten; Die Sozialen Medien im Web 2.0., Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2009. S.27
  19. https://www.sueddeutsche.de/medien/bts-rassismus-bayern-3-matuschik-1.5219014