Körperideale

Welche Relevanz spielt ein körperlich genormtes Erscheinungsbild bei weiblichen Personen des öffentlichen Lebens im Internet?

Eine Forschungsarbeit von Almuth Freyja Fosanelli

Als Influencer (engl. to influence = beeinflussen, einwirken, prägen) werden Personen bezeichnet, die aus eigenem Antrieb Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) zu einem Themengebiet in hoher und regelmäßiger Frequenz veröffentlichen und damit eine soziale Interaktion initiieren. Dies erfolgt über internetbasierte Kommunikationskanäle wie Blogs und soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram, YouTube, Snapchat oder Twitter. 1

Einleitung

Durch die Digitalisierung und die damit eng verknüpfte Nutzung von sozialen Plattformen wie Instagram oder YouTube, haben sich immer mehr Personen entschieden ihr Leben (oder zumindest einen großen Teil davon) mit der Öffentlichkeit zu teilen. Nicht nur jede:r, den es interessiert, sondern auch jede:r, den es nicht interessiert kann so an dem öffentlich gemachten Leben einer Person teilnehmen. Diese Person ist dadurch einer Vielzahl an Kritiken ausgesetzt. Jeder Post, jedes Bild, jedes Video kann von der Allgemeinheit bewundert oder bemängelt werden und jede Abweichung von einer gewissen ästhetischen Norm bietet Fläche für einen persönlichen Angriff. Wie relevant ist es für eine Person, die sich im öffentlichen Raum des Internets bewegt ein genormt ästhetisches Erscheinungsbild zu haben?

Wenn es um Produzent:innen im Internet geht, dann geht es oft nur um ihre Rolle als Vorbild, welchen Einfluss sie auf ihre Followerschaft haben und welche Inhalte sie produzieren.

Dabei vergisst man schnell, dass hinter der Produzentin immer noch ein reeller Mensch mit einer eigenen Meinung, eigenen Vorstellungen und eigenen Unsicherheiten steht. Man könnte sich vorstellen, dass ein enormer Druck auf der Produzentin lastet, denn sie möchte ja gefallen. Ob sich dieser Druck auch auf die eigene Vorstellung von einem ästhetischen Erscheinungsbild auswirkt, oder ob sich die Vorstellung durch den Druck gefallen zu wollen sogar verändert, dieser Frage möchte ich nachgehen. Es geht mir um die Produzentin an sich, nicht um ihre Rolle als Vorbild und den Einfluss, den sie hat.

Begriffsklärung und meine Rolle als Forscherin

Bevor ich tiefer in meine Forschung einsteige, ist es mir wichtig vorab ein paar Begrifflichkeiten und deren Definition zu klären. Das finde ich wichtig, um Missverständnissen vorzubeugen.

Als erstes zu meiner eigenen Rolle als Forscherin:

Wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930-2002) in seinem Text “participant objectivation“ sehr passend beschrieben hat, ist es ratsam ein Forschungsthema nicht aus Eigen- sondern aus einem gesellschaftlichen Nutzen zu wählen. Nichtsdestotrotz ist es von Vorteil, wenn man über das gewählte Forschungsthema schon einige Grundkenntnisse besitzt, um nicht bei Null anfangen zu müssen. Außerdem sollte man ein gewisses Interesse für sein Forschungsfeld mitbringen, um im Optimalfall dem gesellschaftlichen Nutzen der Forschung und vor allem dem Feld selbst gerecht werden zu können. Daher lässt es sich nicht komplett vermeiden, dass sich das persönliche- und das Forschungsinteresse an einigen Stellen überschneiden. So auch bei meiner Forschung. Wäre ich nicht private Nutzerin diverser sozialer Medien, hätte ich mich vermutlich nicht dazu entschieden die Relevanz von Körpernormen für Personen im Internet zu erforschen. Dennoch werde ich versuchen zwischen meiner privaten Rolle und meiner Rolle als Forscherin zu differenzieren, wenngleich es mir nicht immer gelingen wird. Des weiteren lässt sich anmerken, dass ich persönlich eine eher feministische Einstellung habe. Diese wird sich wohl in der ein oder anderen Erklärung, in dem, wie ich die Dinge sehe, widerspiegeln.

Nun möchte ich übergehen zu der Begriffsklärung des Ausdrucks Influencer:in: Sieht man den Begriff Influencer:in wie der europäische Ethnologe Moritz Ege in seinem Text „Figuren und Figurierungen in der empirischen Kulturanalyse“,2 so könnte man behaupten, dass ein Influencer bzw. eine Influencerin eine Sozialfigur des 21. Jahrhunderts darstellt. 3 Das bedeutet, dass eine Influencerin aus gesellschaftlicher Sicht den Wandlungsprozess und die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung charakterisiert.4

Quelle: Privatfotografie

Wie jede Sozialfigur oder Person des öffentlichen Lebens, ist auch die Influencerin nicht frei von Stigmatisierung. 5 Doch was ist dran an den Vorurteilen der Influencerin, oder um es mit Moritz Eges Worten zu sagen: Wie werden verfügbare mediale Bilder in der praktischen Aneignung der sozialen Welt eingesetzt, in Umlauf gebracht und ausgehandelt?

Ein weiterer Begriff, auf den ich hier genauer eingehen möchte, ist „thin privilege“. Der Terminus beschreibt die Vorteile, die dünne Personen gegenüber mehrgewichtigeren Personen haben6. Beispielsweise können dünnere Personen überall auf der Welt in einen Klamottenladen gehen mit der Gewissheit, dass es ihre Größe in dem Laden geben wird. Sie müssen keine Bedenken haben, bei bestimmten Fluglinien oder im Kino nicht in die Sitze zu passen oder an einem all-you-can-eat-Buffet wertend angeschaut zu werden. Die Existenz dieses Begriffes ist zwar nach wie vor umstritten, ich bin aber überzeugt davon, dass eine Bevorteilung dünner Personen gegenüber mehrgewichtigeren Personen in unserer Gesellschaft definitiv existiert.

Zuletzt möchte ich noch darauf eingehen, was ich mit „Körperideal“ meine. Es gibt auf der Welt und in den unterschiedlichen Kulturkreisen nicht nur ein einziges körperbezogenes Schönheitsideal. Dennoch ist in der westlichen Welt das Ideal des schlanken Körpers immer noch am zahlreichsten vertreten, auch wenn es immer mehr Gegenbewegungen gibt. Dieses schlanke Körperideal ist jenes von dem ich ausgehe, wenn ich von einem „genormten Erscheinungsbild“ spreche. Dennoch war es mir wichtig anzumerken, das mir durchaus bewusst ist, dass dieses nicht das einzige Körperideal ist. Es ist jedoch das einzige, auf das ich in meiner Forschung genauer eingehen bzw. welches ich als Referenz verwenden werde.

Feldexploration

Vor knapp einem Jahr begann ich mit meiner Forschung. Das war genau zu dem Zeitpunkt als nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt eine Ausnahmesituation herrschte, die auch ein Jahr später noch unser aller Leben massiv einschränkt und verändert hat: Lockdown aufgrund einer Pandemie. Damals hatte ich noch die Absicht mein Feld auf Klamottenwerbung im analogen Raum bzw. an öffentlichen Plätzen, sowie an Bus- und Bahnhaltestellen, zu beschränken. Nach der ersten teilnehmenden Beobachtung stellte ich fest, dass immer mehr Werbung in diesem Bereich aus dem analogen Raum verschwand. Auf einer Fahrt quer durch Hamburg sah ich auf der gesamten Strecke keine einzige Werbung für Klamotten. Dieses Phänomen erkläre ich mir dadurch, dass sich der Konsum von nicht systemrelevanten Gütern ziemlich schnell von dem analogen in den digitalen Raum verschoben hat.

Aus diesem Grund passte ich das Forschungsfeld der aktuellen Situation an und verlegte es in den digitalen Raum. Um das Feld weiter einzuschränken, bezieht sich die folgende Forschung hauptsächlich auf soziale Medien, genauer gesagt auf Instagram und auf YouTube. Der Grund, warum ich mich nun nicht mehr auf Klamottenwerbung als Beobachtungsmedium beschränkte ist der, dass es im Internet eine nicht überschaubare Vielzahl an Werbungen gibt. Außerdem lässt sich behaupten, dass Personen des öffentlichen Lebens (vor allem Influencer*innen) ihre Reichweite heutzutage immer häufiger für Werbung nutzen.

Des Weiteren werden in der Forschung nur weibliche Akteurinnen eine Rolle spielen.

Nachdem mein endgültiges Forschungsfeld festgelegt war, stellte ich mir nun folgende Fragen:

  • Welche Relevanz hat eine genormte Körperästhetik für eine Person, die in der Öffentlichkeit steht?
  • Wie verändert sich die Relevanz von einem stereotypisch Ästhetischen Körper für eine Person, die in der Öffentlichkeit steht bzw. verändert sich die (körperliche) Eigenwahrnehmung durch mehr Reichweite?
  • Welche Rolle spielt ständiges Feedback von außen für die eigene Wahrnehmung und das eigene Wohlbefinden?
  • Lassen sich das „private“ und das „öffentliche“ Ich voneinander unterscheiden?

Eine weit verbreitete Forschungsmethode der Empirischen Kulturwissenschaft, die auch für diese Forschung angewandt wurde, ist die „teilnehmende Beobachtung“. Da sich das Forschungsfeld dieser Forschung auf den digitalen Raum beschränkt, handelt es sich um eine reine „Beobachtung“, zumal ich als Forscherin nicht direkt Teil des Geschehens bin, bzw auch gar nicht unbedingt sein muss durch die gelieferten und jederzeit abrufbaren Inhalte. Die Methode an sich hat sich dadurch nicht wirklich verändert. Es ist die Benennung, die der Situation angepasst wurde.

Auch die von mir geführten Interviews fanden ausschließlich digital statt. Als Privatperson ist es allein schon aus empathischen Gründen von Vorteil die Emotionen des Gegenübers authentisch wahrnehmen zu können. Als Forscherin ist diese Einschränkung der emotionalen Gesprächsebene jedoch nicht unbedingt ein Nachteil. Im Gegenteil: so kann man sich allein auf den Inhalt des Interviews und die Rolle als Forscherin fokussieren.

Quelle: Privatfotografie

Was ist „Schön“?

„schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt“ (Immanuel Kant)

Quelle: Privatfotografie

Der Mensch ist ein kulturelles Wesen. Dinge, die einem gefallen, eignet man sich gerne selbst an. So entstehen weit verbreitete Schönheitsideale. Neben dem Aneignen von Dingen, die man als schön empfindet, lässt sich Schönheit und vor allem das Verlangen danach auch aus wissenschaftlicher bzw. aus biologischer Sicht erklären. So schüttet das Belohnungssystem des Gehirns Dopamin aus, wenn zum Beispiel lang angestrebte Ziele erreicht werden.7 Dopamin gilt (genau wie Serotonin) als Glückshormon. Wird Beispielweise durch eine Diät das persönliche Wunschgewicht erreicht oder bekommt man Komplimente, wenn man sich mal besonders hübsch fühlt, so setzt der „Belohnungseffekt“ ein. Das bedeutet, Dopamin wird ausgeschüttet und ein gutes Gefühl dadurch erzeugt.

Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt das körpereigene Endocannabinoid-System. Dort findet die zentrale Erfahrung von Vergnügen statt. Körpereigene Cannabinoide sorgen für emotionale Reaktionen. Sieht man etwas subjektiv Schönes, wird das ECS aktiviert und Glückshormone werden ausgeschüttet.8 Des Weiteren sorgt das „Default-Mode-Network“ bzw. das „Bewusstseinsnetzwerk“ dafür, dass gute Erinnerungen und Erfahrungen gesammelt werden. Wenn man etwas wahrnimmt, was einen an etwas Schönes erinnert bzw. was man als schön wahrnimmt, wirkt sich das positiv und beruhigend auf unsere Sinne und Emotionen aus. 9

Wie man in der Natur sieht, kann Schönheit aber auch etwas völlig Willkürliches sein. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Federn des Pfaus. Sein wunderschönes Gewand erfüllt den Zweck der Konkurrenzfähigkeit, wenn es um die Partnerwahl geht, ist aber für die Paarung selbst nicht erforderlich. Und dennoch besitzt er dieses außergewöhnlich schöne Gewand.

„Wie werden verfügbare mediale Bilder in der praktischen Aneignung der sozialen Welt eingesetzt, in Umlauf gebracht und ausgehandelt? Wie strukturieren soziale Typen als Kondensate von Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen ihrerseits Praktiken?“ (Ege/Wietschorke, S. 24)

Nicols Interview

Nicol beschäftigt sich seit sieben Jahren öffentlich mit den Themen Minimalismus, Veganismus, Nachhaltigkeit und Ernährung und teilt ihr Wissen zu diesen Themenbereichen auf YouTube, Instagram und ihrer eigenen Website. Ihre Videos tragen Titel wie „was ich an einem Tag esse“, „Sport Tips für Leute ohne Rennrad“, „Verschwindet Kaufdrang durch Minimalismus?“ oder „„Alles, was du jemals zum Abnehmen wissen musst!“10. Oft beschäftigt sie sich auch mit dem Retten und recyclen von Lebensmitteln und „Sperrmüll“. Sie spricht von sich selbst als „Strahlemaus“11 und bringt diese Fröhlichkeit auch in ihren Posts und Videos rüber. In unserem Interview erzählt sie mir, dass „schlank und definiert sein“ ihr wichtig ist. „Wenn Muskeln zu sehen sind, umso schöner, weil ich gerne körperlich arbeite und mich das auch stolz macht. Wenn ich körperlich stark bin, fühle ich mich auch innerlich stark und oftmals wertvoll“12 sagt sie. Nicol ist es ein Anliegen ihr Wissen über Ernährung mit anderen zu teilen. „Schlank sein bedeutet für Viele ein besseres Lebensgefühl. Ich möchte gerne mit meinem Wissen dazu beitragen“13. Sie ist sich ihrer Vorbildrolle durchaus bewusst und macht sich Gedanken darüber, wie sie als öffentliche Person wahrgenommen wird: „Ich möchte als sexy und attraktiv wahrgenommen werden. Also ja, mir ist sehr wichtig, was andere über meinen Körper denken“14 sagt sie ganz ehrlich. Zusätzlich zu ihren informativen YouTube Videos bietet Nicol auf ihrer Website persönliche Beratungen an.

In einem Podcast der Neonredaktion zum Thema „Instagrams perfekte Körper“15 fällt das Zitat „früher wurde der Sport in den Körper investiert, heute wird der Körper in den Sport investiert“. Soll heißen: Sport wird heutzutage nicht mehr der Gesundheit, sondern des Aussehens wegen betrieben. Es mag sein, dass es Personen gibt, die in der Öffentlichkeit stehen, denen ein sportliches Aussehen wichtiger ist als ihre Gesundheit, die fast schon eine Art (Kontroll)Zwang entwickeln. Es mag auch sein, dass es bei Nicol auf den ersten Blick so wirken könnte als sei es ihr ebenfalls aus ästhetischen nicht aus gesundheitlichen Gründen wichtig sich mit Sport und gesunder Ernährung auseinanderzusetzen. Meiner Meinung nach haben wir es hier mit der Stigmatisierung einzelner Individuen zutun von der Erving Goffman in seinem Werk „Stigma- über Techniken der Bewältigung beschädigter Identitäten“16 spricht. Nur weil eine Person einen schlanken Körper hat (in diesem Fall Nicol), wird schnell davon ausgegangen, dass sie diesen aus rein ästhetischen Gründen hat, und es kommt Neid auf. Das Internet kann hierfür eine gefährliche Plattform bieten. Es kann sich Frust anstauen, der ganz einfach und vor allem anonym anhand von Kommentaren oder Nachrichten gegen die jeweilige Person gewandt werden kann. „Ich denke diese Leute kommen entweder mit meiner Überschwänglichkeit nicht klar die einfach ich selbst bin und die ich auch mit mir alleine habe oder sie wissen nicht einzuordnen, dass ich, obwohl ich auch von meinen Problemen erzähle, trotzdem in vielen Momenten Lebensqualität habe“17 sagt Nicol dazu.

Interview Maria

Auch meine zweite Interviewpartnerin Maria ist nicht frei von Stigmatisierung. Sie ist Redaktionsleiterin und Moderatorin bei der Webshow „Auf Klo“18 und beschäftigt sich viel mit sozialen Ungerechtigkeiten, Rassismus, Sexismus und anderen politisch und gesellschaftlich relevanten Themen. Ihr privater Instagramaccount19 ist eine Mischung aus Schnappschüssen, Eigenwerbung für die Sendung „Auf Klo“, Gute-Laune-Tänzen in Unterhose aber auch aktuellen Problematiken oder Kampagnen wie dem Hashtag textmewhenyougethome20.  Außerdem zelebriert Maria auf ihrem Account deutlich sichtbar die Behaarung, die sich an vielen Stellen ihres Körpers zeigt.

„Ich bin eine dünne weiße Frau, ich hab´ ne Größe 38, kann in jedem Laden auf der Welt vermutlich Klamotten finden, das hat auch glaube ich viel mit meiner Identität oder meinem Hobby zu tun, weil so Mode und Second Hand auch ein großer Teil meines Ausdrucks, meiner Selbst irgendwie ist. Und das kann ich vermute ich auch nur so in der Form ausdrücken, weil ich halt in jedem Second Hand Laden irgendwie eine Jeans finde, die mir passt und so. Ich (…) habe einen femininen Geschlechtsausdruck. (…) Und ich bin stark behaart. Also, ich hab helle Haut, aber dunkle Haare. Gesichtsbehaarung und Körperbehaarung. Und die meiste meiner Körperbehaarung entferne ich nie und lauf´ auch manchmal sehr auffällig damit rum. Und es ist aber der einzige Teil meines Körpers, der mich in Unsicherheit bringt, oder mit dem ich mich manchmal in Gefahr fühle“.[20]

In unserem Interview erzählt mir Maria von diversen Situationen aus ihrem Leben außerhalb von Instagram, in denen sie (hauptsächlich von älteren, weißen Männern) zum Beispiel im Sommer in der Bahn, aufgrund ihrer Körperbehaarung, schräg oder sogar angewidert angeschaut wurde oder Kommentare gemacht wurden als sei sie selbst gar nicht anwesend und würde diese nicht hören. Diese „Stigmaphobische Reaktionsweise“ wie Goffman sie nennt21 ist es auch, die Maria im alltäglichen Leben immer wieder an ihrer Selbstakzeptanz und ihrem Selbstbewusstsein zweifeln lässt. „Bei mir ist es nämlich so, dass ich auf meinem Instagram viel mutiger bin. Also es fühlt sich für mich mutig an, weil es in unserer Gesellschaft halt noch nicht so als normal gelesen wird (…) (seine) Körperbehaarung (zu) zeige(n). Also während ich in meiner Insta Story oder in einem Post in Unterhose rumspringe und grad irgendwie den Spaß meines Lebens zu meiner Lieblingsmusik habe und man irgendwie meine Intimbehaarung ganz leicht sehen kann, würde ich so behaart niemals ins Freibad vermutlich gehen.“22

Maria erzählt mir, dass es ihr wichtig ist für mehr Normalität von weiblicher Körperbehaarung zu sorgen. Um diese Normalität oder Akzeptanz zu erreichen zeigt sie ihre Körperbehaarung auf ihren sozialen Kanälen ganz bewusst, sieht sich auch als Vorbildfunktion in ihrer Rolle als Person des öffentlichen Lebens. Da der Mensch ein Gewohnheitswesen ist,23 ist es tatsächlich so, dass körperliche Erscheinungsformen, die auf irgendeine Art und Weise von einer Norm abweichen, besser akzeptiert werden, wenn diese immer wieder von anderen Personen im Umfeld zelebriert werden. Durch ihre offene Umgehensweise mit dem Thema weibliche Körperbehaarung könnte Maria demnach tatsächlich für mehr Akzeptanz dieses Themas sorgen. Diese Akzeptanz gegenüber dem eigenen Körper hat Maria in der Form, in der sie sie jetzt besitzt, nicht immer besessen. „Selbsthass hat in meiner Jugend sehr sehr viel Raum eingenommen, ich wollte unsichtbar sein, ich hab meinen Körper gehasst, ich wollte mich nicht ansehen, ich dachte ich bin nicht liebenswert. Das (…) war sehr sehr einschneidend in meinem Leben. Und das Selbstbildnis hat sich halt erst verändert, als ich hinterfragt habe warum vor allem weibliche Personen unter so ´nem krassen Schönheitsideal Druck und leiden. Und da hat sich dann auch sehr sehr viel gewandelt.“24 Ich denke wie Maria geht es vielen jungen (weiblichen) Personen. Selbstakzeptanz ist etwas, was man erst lernen muss. Vor allem in jungem Alter sucht man sich Vorbilder und wenn es Personen wie Maria gibt, die ihre Selbstakzeptanz offen nach außen hin leben besteht die Möglichkeit einer diverseren Gesellschaft, als wenn es nur genormte Schönheit/Schönheitsideale gäbe.

Zwischenfazit

Als Fachliteratur habe ich mich unter anderem mit Erving Goffmans „Stigma“ beschäftigt. Durch die Auswertung meines empirischen Materials wird klar, dass auch ich nicht frei von Stigmatisierungen Anderer bin. Nur weil sich die Interviewpartnerinnen mit tiefgründigeren Themen wie Nachhaltigkeit, Politik und Gesellschaft beschäftigen und ich der Auffassung bin, dass ein ästhetisch genormtes Erscheinungsbild etwas sehr Oberflächliches sein kann, bin ich davon ausgegangen, dass genormte Körperästhetik für die interviewten Personen gar nicht so wichtig ist.

  Auf der anderen Seite hätte es auch falsch rüberkommen können die Forschungssubjekte aufgrund ihrer Körperform auszusuchen. Von einer Person, die von einer dünneren Körpernorm abweicht, hätte man dann fälschlicherweise vermuten können, dass diese sich nicht wohlfühlt mit ihrem körperlichen Erscheinungsbild.

Output Formate

Im Folgenden werde ich noch einmal Bezug nehmen auf die Aussage, dass es das schlanke Körperideal ist, welches immer noch am weitesten verbreitet ist. Dies ist zwar tatsächlich der Fall, dennoch gibt es mittlerweile einige Bewegungen oder Organisationen, die diesem standardisierten Schönheitskonzept entgegenwirken. Auf besagte Formate möchte ich im Folgenden etwas genauer eingehen.

Unter dem Hashtag #normalizenormalbodies25 findet man auf Instagram authentische Bilder von Personen, die ihren Körper samt kleinen Speckröllchen, Dehnungsstreifen, unabgedeckten Pickeln oder in nicht komplett gestellten und besonders vorteilhaften Posen zeigen. Auf der einen Seite ist es sehr gut, dass diese völlig natürlichen, jedoch von einer Schönheitsnorm abweichenden unterschiedlichen körperlichen Erscheinungen unzensiert geteilt werden. Auf der anderen Seite fällt auf, dass der Begriff „Normaler Körper“ trotzdem immer noch sehr subjektiv ist, denn unter dem Hashtag findet man ebenfalls Bilder von Personen, die meiner Meinung nach in das schlanke Körperideal reinpassen und auch keine direkt erkennbaren Makel haben. Es ist sehr deutlich, dass ein „normaler“ Körper nicht universell beschrieben werden kann, denn es steckt immer die persönliche und individuelle Geschichte der jeweiligen Person dahinter, die auf einem einzigen Bild von außen so nicht erkennbar ist.

Quelle: Instagram: #normalizenormalbodies
Quelle: Instagram: bauchfrauen, Illustratorin: danadrewdles

Die „Bauchfrauen“26sind ein Label, welches 2017 von der Tanzpädagogin und Autorin Sandra Wurster gegründet wurde. Das Label verkauft nicht nur T-Shirts, Postkarten und Taschen mit motivierenden Aufdrucken wie „das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen“, sie bieten auch sogenannte „Love and Shake your Belly“- Workshops an. In diesen Workshops geht es neben dem gemeinsamen Tanzen um das Thema Selbstliebe und -akzeptanz. Zu jedem Workshop werden Gastdozentinnen eingeladen, die Vorträge halten. Ziel dieser Workshops ist es den Teilnehmer*innen zu mehr (körperlicher) Selbstliebe und weniger Selbstzweifel zu verhelfen.

Neben dem Onlineshop gibt es auch noch eine Instagram Seite und einen Blog. Hier werden Beiträge mit Inhalten wie „Vorurteile“, „Essstörungen“ oder „wohlfühlen im Bikini“ veröffentlicht. In der Regel werden vor allem die Blogbeiträge immer von denselben Autor*innen geschrieben. Es gibt aber auch ab und zu die Möglichkeit für Gastautor*innen einen zu dem Thema Selbstliebe und Body Positivity passenden Beitrag zu veröffentlichen.

Zielgruppe der „Bauchfrauen“ ist jede*r, der/die es leid ist unzufrieden mit dem eigenen Körper zu sein, der/die sich so akzeptieren möchte, wie man ist, egal, ob man nun einer gesellschaftlichen Norm entspricht oder nicht.

Ein Konfliktfeld könnte der Name dieses Labels bieten. „Bauchfrauen“ impliziert, dass hier nur Frauen erwünscht sind. Auch wenn man sich die Website der „Bauchfrauen“ anschaut, bleibt diese Vermutung vorerst bestehen. Erst wenn man sich das ganze Konzept und die selbstgestaltete Werbung genauer anschaut, wird klar, dass auch alle Nicht-Frauen hier willkommen sind.

Stigma e.V. ist ein Verein zu Auf- und Erklärung von gesellschaftlicher Stigmatisierung.27 Entstanden ist der Verein durch die Produktion einer YouTube Reihe Namens „Shore, Stein, Papier“, in der ein ehemals drogenabhängiger seine Lebensgeschichte erzählt. Auf diese Produktion gab es sehr viel positive Resonanz, aber auch viele Nachfragen, woraufhin die Idee des Vereins entstand. Aufgebaut ist diese Reihe als narratives Interview, wobei das Endprodukt (also das Video auf YouTube) so geschnitten ist, dass der Protagonist seine Geschichte ohne Zwischenfragen erzählt. Dem Verein ist es wichtig Aufklärungsarbeit zu leisten „ohne den moralischen Zeigefinger“. Es geht ihnen darum ungeschönt von menschlichen Einzelschicksalen zu berichten und dadurch über Tabuthemen wie Drogenabhängigkeit, Kriminalität, psychische Krankheiten und Suizidalität aufzuklären. Mittlerweile unterstützt Stigma e.V. durch Gespräche und Seminare soziale träger wie die Caritas, die Diakonie oder die AWO.

Der Kerninhalt des Stigma e.V. hat zwar mit dem Thema Körperideale nicht wirklich etwas zu tun. Jedoch war es mir trotzdem ein Anliegen dieses Output Format hier zu nennen, da ich mich in und während meiner Forschung intensiv mit dem Thema Stigmatisierung beschäftigt habe und ich das Thema Aufklärungsarbeit in diesem Bereich sehr wichtig finde. Im weiteren Sinne könnte man behaupten, dass Maria auf ihrem privaten Instagramaccount auch gegen Stigmatisierung vorgeht, dieser durch ihre offene und teilweise von einer schönheitsnorm abweichenden Art jedoch auch selbst ausgesetzt ist.

Endfazit

Die Forschung zu dem Thema, welche Relevanz ein genormtes körperliches Erscheinungsbild für weibliche Personen des öffentlichen Lebens im Internet spielt, zeigt auf, dass man gesellschaftlich heutzutage immer noch eher akzeptiert wird, wenn man einer dünnen westlich orientierten Körpernorm entspricht. Es gibt zwar eine Tendenz, die hin zu mehr Diversität geht wie Beispielsweise die #normalizenormalbodies Bewegung, die „Bauchfrauen“ oder diverse Instagram Accounts (die sich für Body Positivity einsetzen) zeigen, dennoch sind solche Formate immer noch die Ausnahme und repräsentieren lange nicht die breite Mehrheit.

An dieser Stelle möchte ich mich auf den Begriff der Performativität definiert nach der feministischen Sozialwissenschaftlerin Judith Butler beziehen. Dieser Begriff beschreibt den Zusammenhang zwischen Sprechen und Handeln. Genauer gesagt wird dem Sprechen eine Wirkmacht zugeschrieben, die sich auf das Handeln auswirkt. Das Gesprochene kreiert eine Wirklichkeit. Butler entwickelte ausgehend von dieser Definition die Theorie, dass Körper nicht unabhängig von kulturellen Formen existieren. Auch wenn sie als naturgegeben erscheinen, sind sie das Konstrukt normativer Ideale28. Bezogen auf die Forschung würde das bedeuten, dass die Art wie über körperliche Erscheinungsbilder geredet wird einen Einfluss darauf haben kann welche körperlichen Erscheinungsformen mehr und welche weniger gesellschaftlich vertreten sind. Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind Beurteilungen ihres Umfeldes deutlich mehr ausgesetzt als Privatpersonen. Daher sind diese Personen auch einem höheren Druck ausgesetzt was ein genormtes Erscheinungsbild angeht. Je mehr Abweichungen einer körperlichen Norm erkennbar sind, desto mehr Angriffsfläche ist gegeben.

Es ist zu bedenken, dass sich die Forschung nur auf den virtuellen Raum des Internets bezogen hat und nicht auf das alltägliche Leben im analogen Umfeld. Im Internet ist es deutlich einfacher andere Personen zu kritisieren, denn man muss hierfür nicht einmal seine tatsächliche Identität zu erkennen geben. Dieser Aspekt der Anonymität macht sicherlich einige Personen mutiger in ihrer (unkonstruktiven) Kritik gegenüber Personen des öffentlichen Lebens. Auf der anderen Seite kann diese Internetöffentlichkeit auch ein Schutz für die betroffene Person sein, denn sie hat so die Möglichkeit eine Community hinter sich zu haben, die im Zweifelsfall auch verteidigen und aufbauen kann, im Falle von negativer, manchmal sogar hasserfüllter Kritik.

Quelle: Instagram Story von maria.popov vom 6. März 2021

Dennoch berichtet Maria in unserem Interview davon, dass sie auch auf der Straße nicht frei von kritischen Blicken ist. Dies scheint demnach nicht ausschließlich eine problematische Erscheinung des virtuellen Raumes Internet zu sein.

Ausblick

Das Thema Schönheit und damit verbundene Normen ist ein sehr Komplexes, welches in der vorhergehenden Forschung nur Ausschnitthaft behandelt wurde. Ich könnte mir vorstellen auch im weiteren Verlauf meines Studiums mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Jedoch würde ich mich hierfür von dem Oberbegriff „Öffentlichkeit“ wegbewegen und in eine eher etwas andere Richtung gehen. Was mich interessieren würde, wäre zum Thema Schönheit bzw. Ästhetik in Verbindung mit Schmerzen zu forschen. In der westlichen Gesellschaft sind Tattoos, medizinische bzw. ästhetische Eingriffe jeglicher Art fast schon Normalität. Doch wie weit sind Personen bereit für die eigene Schönheit zu gehen? Und welche Rolle spielt die eigene Gesundheit dabei?

  1. Deges, Frank: Gablers Wirtschaftslexikon. Definition Influencer, abgerufen am 25.01.2021 über https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/influencer-100360
  2. Ege, Moritz/Jens Wietschorke: Figuren und Figurierungen in der empirischen Kulturanalyse. Methodologische Überlegungen am Beispiel der „Wiener Typen“ vom 18. bis zum 20. und des Berliner „Prolls“ im 21. Jahrhundert, in: LiThes. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie 11 (Person – Figur – Rolle – Typ II. Kulturwissenschaftliche und kultursoziologische Zusammenhänge), Oktober 2014, S. 16-35.
  3. Im Folgenden werde ich hier nur noch die weibliche Form verwenden, da sich meine Forschung ausschließlich mit weiblichen Personen des öffentlichen Lebens im Internet befasst.
  4. Vgl. Ege S.22
  5. „Stigma“ verwende ich hier nach der Definition von Erving Goffman in seinem Werk „Stigma- über Techniken der Bewältigung beschädigter Identitäten“ die da lautet: Ein Individuum „besitzt ein Merkmal, das sich der Aufmerksamkeit aufdrängen und bewirken kann, dass wir uns bei der Begegnung von ihm abwenden. Es hat ein Stigma, das heißt, es ist in unerwünschter Weise anders, als wir es antizipiert hatten“ (Goffman, Erving: Stigma- über Techniken der Bewältigung beschädigter Identitäten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1967, S. 13)
  6. urbandictionary.com/define.php?term=thin%20privilege
  7. Klein, Ezra & Posner, Joe: Explained. Staffel 2, Folge 9: Beauty. Vox Media, Vereinigte Staaten, 2018
  8. Quelle: https://bedrocan.com/de/so-funktioniert-unser-endocannabinoid-system/#:~:text=So%20funktioniert%20unser%20Endocannabinoid%2DSystem,die%20Aktivit%C3%A4t%20vieler%20anderer%20K%C3%B6rpersysteme.
  9. Naccache, Lionel und Karine: der kleine Gehirnversteher. Eine Erkundung unseres geheimnisvollsten Organs. C.H.Beck, München, 1. Auflage 2019
  10. Quelle: https://www.youtube.com/c/veganpowergirl/videos
  11. Quelle: Interview Nicol
  12. Quelle: Interview Nicol
  13. Quelle: Interview Nicol
  14. Quelle: Interview Nicol
  15. Streidl, Barbara: piqd Thema. Chaimowicz, Sascha, Hörtnagl, Sascha, Kix, Martina: Instagrams perfekte Körper. NEON Redaktion, 01.12.2017
  16. Goffman, Erving: Stigma- über Techniken der Bewältigung beschädigter Identitäten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1967.
  17. Quelle: Interview Nicol
  18. „Auf Klo“ ist ein YouTube Format, bei dem es darum geht gesellschaftliche und politische Tabuthemen anzusprechen und einzelne Personen die Möglichkeit zu geben zu Wort zu kommen. Auf ihrem YouTube Kanal befinden sich Videos mit Titeln wie „Dating mit Behinderung“, „Outing als TV-Star“, „richtig Gendern“ und viele mehr ( Quelle: youtube.com/c/aufklo/videos)
  19. Den Terminus „privat“ verwende ich hier, da es mir um ihren persönlichen Account und nicht um den kollektiven Account „Auf Klo“ geht. Natürlich handelt es sich bei ihrem „privaten“ Account trotzdem um sie als Person des öffentlichen Lebens und nicht um sie als tatsächliche Privatperson.
  20. Unter diesem Hashtag teilen weiblich gelesene Personen ihre Erfahrungen mit Belästigung und Angst auf dem Nachhauseweg.
  21. Goffman S. 44. „Stigmaphobische Reaktionsweise“ beschreibt ablehnende Verhaltensweisen von nicht betroffenen gegenüber stigmatisierten Personen
  22. Zitat Interview Maria
  23. Vgl. Evans, Morgan: 100 People. Shed Media, Vereinigte Staaten, 2020
  24. Zitat Interview Maria
  25. instagram.com/normalizenormalbodies/
  26. Hier Inhalt deiner Fußnote
  27. stigma-ev.de
  28. Vgl. Butler, Judith: das Unbehagen der Geschlechter. Aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1991