Moin!
Ich heiße Liv Ohlsen, bin gelernte Heilerziehungspflegerin, studiere seit 2018 empirische Kulturwissenschaften im Bachelor und habe ein leeres Führungszeugnis. (Stand: 2022)
Als wir im Forschungsseminar das Thema „Öffentlichkeit und Erfahrungen gesellschaftlicher Teilhabe“ behandeln, drehten sich meine Gedanken zunächst um öffentliche Figuren wie Prominente, welche es beispielweise durch besondere Talente auf die Weltbühne schaffen.
Doch schnell änderte sich mein Blick hinzu den Menschen, die der Öffentlichkeit mitunter unfreiwillig ausgesetzt werden und bspw. durch eine Wohnungslosigkeit ihr gesamtes Leben auf der Straße im öffentlichen Raum verbringen. Bis ich gedanklich bei den Menschen ankam, die aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen und dann im Rahmen des Strafvollzugs wieder eingegliedert werden sollen.
Privat beschäftige ich mich schon länger mit True Crime Podcast, lese immer mal wieder einen Kriminalroman, verfolge gebannt die neuen Aktenzeichen XY Folgen und frage mich, ob ich irgendeine tatverdächtige Person wiedererkenne oder sachdienliche Hinweise beisteuern kann. In meiner Jugend klauten eine Freundin und ich gemeinsam Kleidung in einem kommerziellen Modeladen und wurden prompt erwischt, sodass ich meine kriminelle Karriere damals zusammen mit dem Schamgefühl direkt an den Nagel hängte. Trotzdem begleitet mich eine gewisse Faszination für die Welt der Kriminalität und auch durch den Einzug in mein bislang kleinstes WG-Zimmer (9,5 qm), fragte ich mich dann:
Wie fühlt sich das Leben in einer Haftzelle wohl an? Wie geht es für Menschen nach einer Verurteilung weiter? Und welchen Anteil der Verantwortung trage ich als Gesellschaftsmitglied in dieser Geschichte, denn das Urteil ergeht ja „im Namen des Volkes“? Wie reagieren wir als freie Gesellschaft auf eben diese Personen, wenn sie wieder unsere Nachbar:innen werden?
So nahm ich das Seminar zum Anlass mich der sonst so verschlossenen Welt des Gefängnisses ethnografisch zu nähern und begab mich in das Forschungsfeld der Resozialisierung.
Als Forscherin habe ich dabei den Anspruch ein Fremdverstehen anzustreben und die Lebenswirklichkeiten von Personen eines mir unbekannten gesellschaftlichen Bereichs, wie hier der Resozialisierung, zu beschreiben und zu deuten. Trotzdem möchte ich einräumen, dass meine Darstellungen durch meine eigene Position sowie persönlichen Deutungsmöglichkeiten eingefärbt sein können. Eine gänzliche Auflösung meiner Person ist schlichtweg nicht realisierbar, denn trotz meiner intensiven Auseinandersetzungen und den Gesprächen im Rahmen der Feldforschung, bleibe ich doch eine junge, europäische Studentin ohne Vorstrafen, ohne Existenznöte, bin weder Opfer noch Täterin im strafrechtlichen Sinne. Und ich habe den Willen in allen Menschen das Gute zu sehen und jede:n auch in der Verwobenheit mit dem sozialen Umfeld zu begreifen, dessen Unterschiede und Chancen auch durch die Gesamtgesellschaft geprägt und erhalten werden.