RE-
SOZIALISIERUNG
Wer schon einmal Monopoly gespielt hat weiß:
Die Gefängniskarte möchte keine:r ziehen, denn sie verheißt nichts Gutes. Aussetzen, keine finanziellen Einnahmen und keine Teilhabe, während das Spiel für alle anderen weitergeht. Drei Runden warten oder das Glück eines Paschs holen uns vom Spielrand.
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Doch wie gestaltet sich der Ausschluss aus der Öffentlichkeit und die Rückkehr in die Gesellschaft
für straffällig gewordene Personen im Alltagsleben
Liebe:r Leser:in,
die folgenden Darstellungen basieren auf …
(Bildquelle: Privataufnahme)
Zusammenleben
Unser gesellschaftliches Leben ist ähnlich wie im Spiel durch soziale Verhaltensnormen strukturiert.1 Diese sozialen Regeln wirken wie das Öl eines reibungslos funktionierenden Gesellschaftsmotors. Eine manifestierte und allgemein gültige Regelinstanz bilden die Gesetze; sie verankern Mitbestimmung, Gebote und Verbote sowie die Sanktionierung von delinquenten2 Handlungen. Wenn delinquentes Handeln strafrechtlich verfolgt und sanktioniert wird, bestärkt dies auch unsere geltenden Normen und lässt uns als restliche Gesellschaft erst die Position der konform Handelnden einnehmen. Ohne Verstöße gäbe es auch keine nennenswerte (Regel-)Einhaltungen, keine Unterscheidungsmöglichkeit zwischen „Gut“ und „Böse“ und somit keine Abwertungs- und Aufwertungsmomente für Bürger:innen. Dies kann auch als gesellschaftliches „Ausgrenzungsritual“3 beschrieben werden. Doch auch aus dem Tierreich weiß manch eine:r, die Gemeinschaft ist nur so stark wie ihr schwächstes (Mit-)Glied.
Alle Menschen sind vor
Artikel 3, Absatz 1: Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland
dem Gesetz gleich.
Das öffentliche Zusammenleben gestaltet sich auch durch die konstruierte Gewissheit, dass die in Freiheit Lebenden gleiche Normen verfolgen und in ihren Alltagshandlungen berücksichtigen. Durch diese Vorstellung können wir einander begegnen, ohne hinter jeder fremden Person eine:n „Gesetzlose:n“ zu vermuten. Jene, die gesetzeswidrig handeln, werden sanktioniert und im Härtefall zum Gemeinwohl aller aus dem Verkehr gezogen. Dieses Wissen spielt eine Rolle in unserem alltäglichen Leben, denn es lässt uns in der Regel sorglos vor die Haustür treten – wir fühlen uns sicher und haben Vertrauen in die Gemeinschaft und Sicherheitspolitik. Wir sind angepasst, befolgen allgemein-gültige Regeln und erwarten dies auch von unseren Mitmenschen. Wir leben und legitimieren die Gesetze unserer demokratischen Gesellschaft auf der öffentlichen Bühne. Fast schon tragisch wird es, wenn Personen einem gesellschaftlich vertretenem Ziel folgen, ihnen jedoch keine legitimen Mittel und Handlungsspielräume zur Verwirklichung dessen zur Verfügung stehen. Person X möchte also beispielsweise durch Wohlstand einen angesehenen Status in der Gesellschaft erreichen und nutzt das illegale Handeln (z.B. Vermögensdelikt). Das Ziel ist gesellschaftliche Anerkennung, doch fliegt ihr:sein Handeln auf und bewirkt das Gegenteil: einen gesellschaftlichen Ausschluss im Rahmen der Haftstrafe sowie die Vergabe des Titel „Straftäter:in“. Das Bedürfnis nach Sanktionierung ist ebenso in der Gesellschaft verankert wie der Gesetzesbruch selbst. Die Institution des Gefängnisses als staatlicher Strafvollzug findet sich international wieder, trotz regionaler und globaler Unterschiede können diese als „totale Institution“4 beschrieben werden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie den gesamten Lebensalltag der Insass:innen umfassen und ferner stark hierarchisch strukturiert sind, wodurch das Misstrauen seitens des Personals gegenüber den Gefangenen institutionell verankert wird. Das Gefängnis dient dabei zum einen der Abschreckung vor Gesetzesbrüchen, begünstigt also den bürgerlichen Willen konform zu handeln, und ist andererseits ein „Disziplinierungsapparat“5.
Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der[:die] Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.
§ 2 Aufgaben des Vollzugs, Strafvollzugsgesetz (StVollzG)
Seit 1960 ist das Konzept der Resozialisierung in den Strafvollzug aufgenommen, so steht es im deutschen Strafgesetzbuch noch vor dem Schutz der Gesellschaft als Gründe des Freiheitsentzugs. 6 Während der COVID-19 Pandemie, die unser privates und öffentliches Leben nun bereits seit einem Jahr beeinflusst, konnten wir gesamtgesellschaftlich die Erfahrung machen, zum Gemeinwohl aller räumlich und sozial beschränkt zu werden. Die Frage, ob diese individuelle Isolationserfahrung uns im Sinne einer Resozialisierung der Gesellschaft näher bringen kann, möchte ich hier als gedankliche Anregung offen stehen lassen.
Urteil
Die Gerichtsverhandlung beginnt: Tathergang, Motiv, Vorbestrafungen sowie die Schwere der Tat werden verhandelt, um ein entsprechendes Strafmaß zu bestimmen und es wird verkündet:
„Im Namen des Volkes
Eingangsformel von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts
[ergeht folgendes Urteil: Haftstrafe]“
sowie aller ordentlichen Gerichte und Fachgerichte
Auch die Berichterstattungen über Straftaten und Verhandlungen für die breite Masse können einflussreich sein im Hinblick auf die Verhandlungsführung und die gerichtliche Entscheidung. Einerseits begünstigen die Pressemitteilungen öffentliche Debatten über das zu verhängende Strafmaß oder die Schuldfrage verdächtiger Personen, sodass die Verhandlungsführenden unter einen öffentlichen Druck geraten können. Wenn beispielsweise durch eine Mordserie eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt wird und die Medien darüber berichten, beginnen die Stadtbewohner:innen mitunter zu spekulieren und stellen wohl möglich gegenseitige Verdächtigungen auf. Der öffentliche Wunsch eine tatverdächtige Person als Täter:in zu benennen und zur Rechenschaft zu ziehen, kann die Verhandlung beeinflussen, denn das Sicherheitsgefühl soll wiederhergestellt werden. Andererseits besteht ein Recht auf Information und ein öffentliches Interesse daran, ob Gefahr besteht, was die mediale Berichterstattung über Straftaten begründet. Mediale Darstellungen haben jedoch auch ein Potential, rassistische Strukturen innerhalb der Gesellschaft zu bestärken oder zu konstruieren. Wird beispielsweise nur bei Täter:innen nicht-deutscher Herkunft eine ethnische Zuschreibung in die Berichterstattung aufgenommen, so wird ein bestimmtes Täter:inbild erzeugt, was unser gesellschaftliches Miteinander auch außerhalb des Strafprozesses mitgestalten kann. Dann können Straftaten aus der Personengruppe von Menschen mit Migrationshintergrund auch in weitere öffentliche Diskurse mit einfließen (z.B. zum Thema Migration und Flucht) und als bestärkendes Negativbeispiel für menschenfeindliche Argumentationsmuster genutzt werden. Zudem besteht die Möglichkeit, dass auch Polizeibeamt:innen von den Pressmitteilungen zumindest mittelbar beeinflusst werden können, worauf auf das Racial Profiling hindeuten könnte. Ein weiterer Aspekt ist die Unterscheidung von Hellfeld- und Dunkelfeldkriminalität. Im Hellfeld7 befinden sich vor allem „die einfach strukturierten und mit unmittelbaren physikalischen Auswirkungen verbundenen Delikte – also z.B. Diebstahl, Sachbeschädigung[…], die überwiegend von Angehörigen unterer sozialer Schichten begangen werden“.8 Während im Dunkelfeld „mehr intellektuell gesteuerte Kriminalität durch Einflussnahme auf wirtschaftliche Vorgänge oder Täuschung über komplexe Zusammenhänge, also Taten wie Steuerhinterziehung und Versicherungsbetrug“9 unentdeckt bleiben, welche überwiegend Menschen in guten Sozialpositionen ausführen, die ansonsten angepasst wirken und sogar erfolgreich sind. Wer kommt also ins Gefängnis?
Haft
Es folgt der Haftantritt und zunächst die Erstellung eines individuellen Resozialisierungsplans. Dieser orientiert sich an dem Urteilsspruch und den darin genannten Anforderungen (z.B. Anti-Aggressionstraining), ist jedoch von Ausstattung und Personal des zuständigen Gefängnisses abhängig. Der Strafvollzug in Deutschland ist föderal konzipiert, weshalb sich die Strafinstitutionen unterscheiden, beispielsweise gibt es in neun von zwölf Bundesländern eine Arbeitspflicht. Mit Einzug in die Gefängnismauern beginnt unmittelbar die interne Knastsozialisation. Es treffen klein-kriminelle Personen auf Schwerverbrecher:innen, Mitglieder:innen organisierter Kriminalität auf Personen die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. Die Ersatzfreiheitsstrafe wird in Form von Tagessätzen verhängt, wenn eine Person ihre Bußgelder oder Geldstrafe nicht eigenständig abbezahlen kann.
Erst einmal muss gelernt werden, im rauen Umgang der JVA zu überleben. Ein Langzeitinhaftierter (über 10 Jahre Freiheitsentzug) erklärte in einem Brief, das Delikt sei das primäre Identitätsmerkmal und bestimme die Stellung innerhalb der subkulturellen Strukturen der Insassen nach Eintritt hinter die Mauern. Personen mit Straftaten aus dem Spektrum der Sexualdelikte, insbesondere mit Opfern im Kindes- und Jugendalter, bilden dabei die unterste Stufe und seien gut beraten ihr Delikt solange wie möglich geheim zu halten. Das Delikt steht nun also im Vordergrund der Person, nicht nur von der Gesellschaft draußen wird es zum primären Merkmal erhoben, auch in der Gefängnishierarchie selbst. Ebenfalls entscheidend für die eigene Stellung sei die Haftlänge, Prominenz und bereits erworbene Hafterfahrungen. Neben der Personengruppe der Gefangenen kommen die Mitarbeiter:innen hinzu. Sie sind Repräsentant:innen der freien Gesellschaft, pendeln zwischen der Welt drinnen und draußen und haben eine vollstreckende Position inne, die Handlungsmacht. Durch diverse „Kann“-Klauseln im Strafvollzugsgesetz sind sie maßgeblich für die strukturelle Ausübung der Strafe im Haftalltag ausführende Kräfte und können situativ und individuell Erlaubnisse und Verbote aussprechen.
Der hohe Sicherheitsanspruch im Gefängnis führt zu einigen Einschränkungen der Grundrechte für die Insass:innen, obgleich das Leben in der Haft dem draußen möglichst nahekommen soll. Die Strafe selbst und die Vorbereitung auf das Leben danach stehen in einem Konflikt zueinander, so ist das Gefängnis keine Simulation der Welt außerhalb sondern durch den strafenden und disziplinierenden Charakter strukturiert. Die Anpassung an eben diese Gefängniswelt (Prisionisierung) entfremdet die gefangenen Personen somit schrittweise von der draußen. Doch die Verbindung von Drinnen und Draußen beschreibt ein wichtiges Anliegen der Resozialisierung, so sind Kontaktmöglichkeiten10 gesetzlich verankert und zeigen die Wertigkeit des sozialen Kapitals11.
(1) Der Gefangene darf regelmäßig Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt mindestens eine Stunde im Monat. Das Weitere regelt die Hausordnung.
§ 24 Recht auf Besuch, Strafvollzugsgesetzbuch (StVollG)
(2) Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen fördern oder persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten dienen, die nicht vom Gefangenen schriftlich erledigt, durch Dritte wahrgenommen oder bis zur Entlassung des Gefangenen aufgeschoben werden können.
(3) Aus Gründen der Sicherheit kann ein Besuch davon abhängig gemacht werden, daß sich der Besucher durchsuchen läßt.
Besonders wichtig sei beiden Informanten der Briefkontakt in Haft. Was „uns“ in der digitalversierten Außenwelt zunächst altmodisch vorkommen mag, ist im Knast alltäglicher Kommunikationsweg und eine symbolische Überwindung der Gefängnismauern. Für Personen, deren soziale Kontakte sich im Zuge der Haft oder durch die Abwendung aufgrund der Deliktbewertung geschmälert haben, bilden ehrenamtliche Besucher:innen oder Brieffreundschaften zu Fremden eine wichtige soziale Instanz. Telefonate, Besuche und auch der Schriftverkehr werden jedoch aus Sicherheitsgründen vom Personal kontrolliert und sind ein Einschnitt in die Privatsphäre.12 Durch die derzeitige gesamtgesellschaftliche Notlage der COVID-19 Pandemie sind auch in den Gefängnissen Besuchsangebote eingeschränkt oder unterbunden. Ebenso tragen Alltagsabläufe, wie die Zellendurchsuchungen oder ausschließlich Sammelduschmöglichkeiten zur Entprivatisierung der Gefangenen bei. Ein Informant beschrieb, das Misstrauen und die Angst, welche ihm mitunter entgegengebracht werden, seien nach fast sechzig Jahren Lebenszeit eine ganz neue Erfahrung und schwer mit dem Selbstbild vereinbar. Die persönliche Reaktion und der Umgang damit seien ein Lernprozess und der Rollenkonflikt zwischen Innen- und Außenwahrnehmung der eigenen Person wird von mehreren Informanten thematisiert – sowohl während als auch nach der Haft.
Die Institution Gefängnis stellt sich als Spannungsfeld des öffentlichen und privaten Lebensraums dar. Angelehnt an Hannah Arendt, die den privaten und öffentlichen Raum differenziert,13 wenn auch in einer Abhängigkeit zueinander beschreibt, schiebt sich hier noch eine dritte Ebene ein. Denn während die Person im Rahmen des Freiheitsentzugs der Öffentlichkeit entzogen wird, findet der anschließende Haftalltag unter ständiger Fremdbestimmung und Beobachtung quasi öffentlich statt. Nur die eigene Zelle verspricht zu ausgewählten Zeiten etwas Privatsphäre, falls keine Doppelbelegung vorliegt. Ebenso sind die Gefängnisgebäude im öffentlichen Raum stationiert, jedoch nicht für alle zugänglich und einsehbar.
Besonders relevant für die Rückkehr in die Gesellschaft ist eine Perspektive für die Zeit danach, so bilden die Arbeits- und Bildungsmaßnahmen die zeitintensivste Einheit des Haftalltages. Berufliche Weiterbildungen und das Absolvieren von Schulabschlüssen versprechen den Menschen künftig bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sodass durch eine Aufwertung des kulturellen Kapitals14 ebenso eine Verbesserung des ökonomischen Kapitals15 angestrebt wird. Ein Blick zu den Informanten zeigt jedoch, dass dies sich unterschiedlich gestaltet. Während ein Mitte zwanzigjähriger Informant sein Abitur nachholt und sich perspektivisch für ein Fernstudium interessiert. sitzt an anderer Stelle ein Herr mit Anfang sechzig in Haft, der seinem vorherigen Beruf in der IT Branche nicht mehr nachgehen kann und stattdessen in der Schneiderei Roben für Richter:innen näht. Der Betroffene selbst schreibt dazu, es sei zwar eine Form von Zwangsarbeit, aber immerhin eine Beschäftigung. Gleichzeitig wird auch die fehlende Möglichkeit auf soziale Absicherungen wie ausbleibende Rentenabgaben kritisiert. Die Entlohnung der Gefangenen bewegt sich im Bundesdurchschnitt unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns und beträgt 1-3€/Std. bzw. 120-330€ im Monat (dies entspricht etwa ein-neuntel der Sozialleistungsgrenze hier zu Lande). Davon muss ein Teil als Startkapital für die Entlassung beiseite gelegt werden.
Die meisten Arbeiten in den Justizvollzugsanstalten liegen im hauswirtschaftlichen und handwerklichen Bereich, entsprechend des Selbstversorgergrundsatzes der Gefängnisse. Auch Produktionsaufträge externer Unternehmen machen einen Großteil der Arbeitsaufträge aus. So ist das Gefängnis als Produktionsstätte aufgrund der geringen Löhne attraktiv für den Markt und verringert mitunter die Produktionsverschiebungen in Billiglohnländer, was die Bedeutung des Gefängnisses für die gesamtgesellschaftliche Wirtschaftslage aufzeigen soll.
Die Unterschiede zwischen der Arbeitswelt drinnen und draußen sind also divers und individuell unterschiedlich konnotiert. Keine Sozialabsicherungen, geringere Löhne und eine geminderte Jobauswahl sind hier negativ zu benennen. Durch Aussichten auf höhere Bildungsabschlüsse bilden die strukturellen Gegebenheiten in dieser Hinsicht jedoch auch einen Vorteil, Blaumachen ist beispielsweise faktisch unmöglich. Mit einem höheren Schulabschluss oder einer neuen Lehre scheint das kulturelle Kapital merklich verbessert, es bleibt aber die Frage danach, wie Arbeitgeber:innen in der freien Gesellschaft auf die Entlassenen reagieren werden. Wie gelingt Resozialisierung eurer Ansicht nach, fragte ich im Briefkontakt. Vor allem die Vorbereitung auf das soziale Miteinander im sozial-therapeutischen Vollzug, die schrittweisen Lockerungen der Maßnahmen und die begleiteten Ausgänge seien eine Annäherung an das Leben danach, aber im Regelvollzug wäre dies nicht immer gegeben, bekam ich als eine Antwort.
(Bildquelle: Privataufnahme)Je nach Delikt und Anstalt gibt es noch unterschiedliche Therapie- und Beschäftigungsangebote, die sich positiv auf die Person auswirken sollen. Es wird jedoch deutlich, dass die Bereitschaft zur Veränderung von der zu-resozialisierenden Person ausgeht. Eine oberflächliche Anpassung an die Strukturen des Gefängnisses kann auch nicht ausgeschlossen werden, so kann das angepasste und regelkonforme Handeln auch nur auf Begünstigungen innerhalb der Anstalt ausgelegt sein und demnach kein Indiz dafür, dass die Person eine Gesellschaftskonformität anstrebt.16
Resozialisierungsmaßnahmen sind demnach nicht stets in der geplanten Form wirksam.
Entlassung
Nun gilt es sich regelmäßig und eigenständig bei den Bewährungshelfer:innen zu melden, sich sozial und ökonomisch abzusichern und sich gesellschaftskonform zu zeigen. Die Strafe für die normabweichende Handlung ist nun formell beendet. Nachdem eine Zeit lang der gesamte Lebensalltag strukturiert und kontrolliert wurde, sehen wir uns das erste Mal wieder als selbstbestimmte Person und bewegen uns wieder im öffentlichen Raum. Eine erneute Anpassung steht bevor, die Gefängnisroutinen treten in den Hintergrund, wir begegnen Menschen auf der Straße und für diese ist der hinter uns liegende Gefängnisaufenthalt nicht augenscheinlich erkennbar. Je nachdem wie lange die Haft war, müssen wir neue Gesellschaftstrends erkennen und erlernen. So wurde einer der Informanten vor der Entwicklung des Internets und somit der Digitalisierung inhaftiert und neunzehn Jahre später in eine technologisch-digital-versierte Welt wieder entlassen, in der die Mehrheit mit einem Smartphone ausgestattet ist, sich in unterschiedlichsten Teilöffentlichkeiten (Social Media, Blogs, Foren, etc.) online bewegt und sich mitunter auch alltägliche Dinge wie Terminvereinbarungen mit Ärzt:innen oder Behörden sich in den digitalen Raum verschoben haben. Auch die Orientierung im digitalen Raum kann somit ein Teil unserer Wiedereingliederung sein. Bei der Wohnungs- oder Jobsuche wird dann meist die Haftstrafe wieder relevant und kann zum Ausschlussgrund der Person werden. Gesellschaftliche Bilder von Straftäter:innen beherrschen das Zusammenleben und die Rückkehr ist vom Willen der Wiederaufnahme anderer bestimmt. Lebenslauf, Schufa-Auskunft, Bewährungsauflagen und Führungszeugnis sind Hinweise auf die Vergangenheit und stehen der Zukunft im Weg – was sich an der Denkweise und den Lebensstilvorstellungen verändert hat, muss die Person glaubhaft machen können.
Doch das Leben nach der Entlassung kann sich auch anders gestalten, wie es mein Interviewpartner von Gefangene Helfen e.V. aufzeigt. Hier zeigt sich das Phänomen des positiven Nutzens des eigenen Stigmas als eine Form der „Imagepflege“17. Seine eigene Lebensgeschichte und Strafhandlungen bilden den Ausgangspunkt seiner Kriminalitätsprävention mit Jugendlichen. Er inszeniert sich somit als negatives Vorbild. Das Gefängnis wird dabei als Abschreckungsort und die Auswirkungen des Freiheitsentzugs auf die eigene Person und das Umfeld als Schreckensszenario dargestellt. Es sei keine Wiedergutmachung so sagt er, es sei ein Beitrag zur Gesellschaft: Jugendliche vor Kriminalität zu bewahren und das Leben in Freiheit als besten Lebensweg hervorzuheben.
Bilanz
Welches Bild ergibt sich nun abschließend über die Mechanismen der Resozialisierung und Rückkehr in die Gesellschaft für uns? Es zeigte sich, dass die Angebote innerhalb der Haftanstalt unterschiedliche Auswirkungen auf die Kapitale(soziales, kulturelles, ökonomisches Kapital) haben können. Wer bereits vor der Haft hohe kulturelle beziehungsweise soziale Kapitale erreichte, wird möglicherweise eine Minderung dieser erfahren. Eine Person mit geringem (Aus-)Bildungsstand vor Haftantritt kann jedoch eine Steigerung erfahren. Die sozialen Kapitale werden durch die Tagesstrukturen und Überwachungsstandards in der Haft zu vorher bestehenden Kontakten stark eingeschränkt. Ebenso kann das Delikt und die Inhaftierung dazu führen, dass sich die Menschen aus dem Umfeld draußen abwenden. Die alltäglichen Bezugspersonen werden in der Regel andere Straftäter:innen sein sowie das Personal, zu welchem jedoch ein asymmetrisches Verhältnis besteht, durch den Arbeitsauftrag und die strukturelle (Handlungs-)Macht. So gestaltet sich die soziale Kapitallage unterschiedlich, zeichnet sich jedoch nicht umfänglich durch Verbesserungstendenzen aus. Die Reaktion der Gesellschaft auf entlassene Personen wird mitunter durch Medien, Vorurteile und Stigmatisierungsprozesse gestaltet und ist im hohen Maße von dem Willen einzelner Akteure (Vermieter:innen, Arbeitgeber:innen, etc.) abhängig. Die Nutzung des eigenen Stigmas in der präventiven Arbeit zeigt sich dabei als positive Adaption und beschreibt ein Phänomen der gesellschaftlichen Selbstpositionierung. Die Darstellungen basieren jedoch auf den Äußerungen dreier Informanten mit Haftlängen zwischen acht und neunzehn Jahren, sie sind als Fragmente der Lebenswelten von inhaftierten Personen zu verstehen. Denn ebenso wie die Gesellschaft außerhalb der Mauern sind die Personen in Haft als divers zu beschreiben und jemand mit einer kurzen Haftstrafe könnte ganz andere Deutungs- und Handlungsmuster aufweisen.
Ausblick
Durch Wiederholungstäter:innen und das Aufkommen neuer Straftäter:innen trotz allseits bekannten Strafvollzugsmaßnahmen und dem Gefängnis als Ort der Abschreckung, lässt sich das Strafvollzugssystem kritisch hinterfragen. Wie die meisten Universalsysteme greift auch dieses auf divergierte Wirkungsweise und beeinflusst individuell unterschiedliche Ausgänge. Kriminalität, so scheint es, bleibt als integraler Bestandteil der Gesellschaft bestehen. Das Wegsperren sowie erzwungene Sozialisierung von Straftäter:innen im Erwachsenenalter wirft die Frage auf, ob die gesellschaftliche Einflussnahme und der staatliche Eingriff erst nach vollendeter Tat eine produktive Antwort auf Kriminalität ist. Ebenso muss bedacht werden, dass das Gefängnis auch zu einer Professionalisierung im Bereich der Kriminalität führen kann, denn die Straftäter:innen können sich über Fertigkeiten, Wissen und mögliche Kontaktpersonen austauschen und ihre Stellung in der kriminellen Subkultur festigen. Alternative Verfahren, wie das Leisten gemeinnütziger Arbeit statt der Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen wären anzudenkende Alternativen. Auch Konzepte wie Restorative Justice, in dem Opfer und Täter:in und nicht die Strafe allein im Mittelpunkt der Aushandlungen stehen oder sogar ganze Nachbarschaften einbezogen werden können, bilden zu vielversprechende Gegenperspektiven.18 Eine präventive und somit nachhaltige Perspektive wäre die Unterstützung und Gewährleistung einer gelungenen primären und sekundären Sozialisation sowie eine kulturelle und ökonomische Chancengleichheit aller Menschen einer Gesellschaft. Denn, wenn jede:r eine gleichberechtigte Position in der Gesellschaft inne hat, wird das Zugehörigkeitsgefühl im Sinne eines gesellschaftskonformen Habitus erwachsen. Schließlich könnte dies zu einer Reduktion von Kriminalität führen und die Anzahl von Täter:innen und Opfern zum Gemeinwohl aller reduzieren.
Vielleicht ist es an der Zeit unseren Mitspieler:innen einen Würfel abzugeben, um die Chance auf ein Pasch zu erhöhen…
Ein Blick in…
& zu den…
Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben
meinen Forschungsbeitrag zu lesen.
Ich hoffe, Sie konnten etwas mitnehmen!
- vgl. Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, 10. Aufl. Piper, München 2003.
- Delinquenz bezeichnet gesetzeswidrige Handlungen, die Straffälligkeit.
- Löhr, Holle-Eva: Resozialisierung und Medien. In: Cornel, Heinz et. al.: Handbuch der Resozialisierung. Aufl. 2, Nomos Verlag, Baden-Baden 2003, S. 545.
- Goffman, Erving: Asyle: Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973.
- vgl. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. 9. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008.
- vgl. Ramsbrock, Annelie: Geschlossene Gesellschaft Das Gefängnis als Sozialversuch – eine bundesdeutsche Geschichte, S. Fischer, Frankfurt am Main 2020.
- Registrierte und strafrechtlichverfolgte Taten
- Löhr, Holle-Eva: Resozialisierung und Medien, S. 534.
- Löhr, Holle-Eva: Resozialisierung und Medien, S. 534.
- (vgl. StVollG: Recht auf § 28 Briefwechsel, § 24 Besuche, § 32 Ferngespräche/ Telegramme)
- Das soziale Kapital beschreibt nach Bourdieu Beziehungen und Netzwerke zu anderen, die ausschlaggebend dafür sein können welche gesellschaftliche Position eine Person inne hat.
- vgl. StVollG: § 27 Überwachung der Besuche, § 29 Überwachung des Schriftwechsels.
- Der private Raum als planbarer und familiärer Begegnungsraum & der öffentliche Raum als freie und ungeplante Begegnungsfläche. vgl. Arendt, Hanna: Vita activa oder vom tätigen Leben, München 1981. 2. Auflage.
- Zu dem kulturellen Kapital zählen nach Bourdieu Bildungsabschlüsse, Titel oder auch der Besitz kultureller Güter, welche sich auf die gesellschaftliche Stellung der betreffenden Person auswirken können.
- Das ökonomische Kapital wird von Bourdieu mit Aspekten des Vermögens, Besitztümer sowie des Einkommens benannt, welche ebenfalls die gesellschaftliche Positionierung beeinflussen.
- vgl. Matt, Eduard: Übergangsmanagement und der Ausstieg aus der Straffälligkeit: Wiedereingliedung als gemeinschaftliche Aufgabe, Centaurus Verlag & Media UG, Herbolzheim 2014.
- Goffman, Erving: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1957.
- Für weiterführende Information zum Resorative Justice Program: http://restorativejustice.org.[Zugriff: 01.03.21]